Ein Jahr lang wurde die Familie Memeti aus Goldau von Spielerberater Nicola S. an der Nase herumgeführt. Aus einem angeblichen Vertrag für Sohn Zurap beim Bundesligisten 1. FC Köln wurde nichts. Der Fall ist exemplarisch für die herrschende Naivität im Fussballgeschäft.

Nach der ausführlichen Berichterstattung auf REGIOfussball.ch (siehe Rubrik REGIOreportage) berichtet nun auch die «Zentralschweiz am Sonntag» über den Betrugsskandal. Hier die ausführliche Reportage von Raphael Biermayr.

Warum? Diese Frage stellt sich Irfan Memeti immer und immer wieder, seitdem er erkennen musste, dass sein Sohn Zurap und er betrogen wurden. Auf ein Jahr der Gutgläubigkeit folgte kürzlich der Tiefschlag. Am Telefon erfuhr er vom Vereinsjuristen des 1. FC Köln, dass dem Bundesligaverein der Name seines Sohnes unbekannt sei. Der Traum von der Profikarriere, vom grossen Geld – er brach wie ein Kartenhaus zusammen.

Diesen Traum hatte Nicola S. aufgebaut. Er hatte sich eines Tages Anfang 2015, nach einem Spiel der gemeinsamen U-17-Equipe des FC Luzern und des SC Kriens, bei Irfan Memeti gemeldet. Er sei Spielerberater, liess er ihn wissen, Zurap sei ihm im Spiel sofort aufgefallen. Ob er – Nicola S. – sich um die Karriere des 17-jährigen Sohnes kümmern dürfe. «Klar, warum nicht», sagte sich der stolze Vater. Und unterschrieb einen Einjahresvertrag, der einen Ausrüstervertrag mit Nike beinhaltete. S. verlangte dafür 250 Franken Honorar von den Memetis.

So beginnt die Geschichte eines riesigen Schwindels, der wegen seiner akribischen Planung gleichermassen verstörend wie faszinierend wirkt. Wer Irfan Memetis Schilderungen dieses Betrugsfalls folgt, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Vor allem über die Tatsache, dass der Betrüger selbst nichts davon hatte – und im Gegenteil wohl noch selbst dafür in die Tasche griff.

Der Berater wahrt den Schein
Nicola S. hat den Memetis vorgegaukelt, der Bundesligist 1. FC Köln habe Interesse an einer Verpflichtung von Zurap und würde Scouts an Spiele senden, um ihn zu beobachten. Damals spielte er noch in besagtem U-17-Team, allerdings selten über 90 Minuten. Es folgte der Wechsel zu den A-Junioren von Zug 94, gemäss Irfan Memeti auf Geheiss von Spielerberater S.: «Er sagte, ein Transfer von Zug komme günstiger als von Luzern oder Kriens und sei deshalb attraktiver für Köln», erklärt er. S. hat seinen Klienten bis zu dreimal pro Woche in sein Büro nach Basel eingeladen, um ihm vermeintliche Neuigkeiten zu berichten. Den Vater bestellte er alle zwei Wochen hin, «manchmal hat mich eine Sekretärin empfangen», schildert jener. Es war bei weitem nicht das Einzige, das dem Tun von S. einen seriösen Anstrich verlieh. Immer wieder sandte er den Memetis angebliche Scoutingberichte zu. Und S. übergab dem Offensivspieler regelmässig neue Fussballschuhe: Präsente aus dem erwähnten Ausrüstervertrag. «Ich vermute, er hat die selbst bezahlt», wundert sich Irfan Memeti heute. Es ist sogar die Rede von einer zweitägigen Reise nach Köln und einem Treffen mit einem angeblichen Scout dort. Weil sie dies nicht belegen kann, will sich die Familie dazu nicht öffentlich äussern.

Talent wird von Schule genommen
Ein Foto vom 11. Dezember zeigt Zurap Memeti über ein Papier gebeugt an einem Tisch sitzend, vor ihm ein leer getrunkenes Glas mit einem Zitronenschnitz darin. Er setzt seine Unterschrift unter den vermeintlichen Vertrag. Jener ist bereits von zwei Anwälten und Kölns Sportchef Jörg Schmadtke unterzeichnet. Er läuft über vier Jahre, soll ihm 13 200 Euro monatlich einbringen und umfasst auch den Übertritt in eine Kölner Privatschule. Dort soll der Teenager seine in Luzern begonnene KV-Ausbildung zu Ende bringen. Deren Unterlagen hatte S. den Memetis schon früher ausgehändigt mit der Aufforderung, den Sohn nach dem Schuljahr 2014/15 an der Bénédict-Schule in Luzern abzumelden. «Er fragte mich, warum ich noch 6000 Franken zahlen will für ein halbes Jahr Schule in der Schweiz, wenn Zurap in Köln sowieso zur Schule gehen kann. Das war logisch für mich», führt der Vater aus.

Einen Monat später war der Spuk vorbei. Nachdem das Datum für die Antrittsreise nach Deutschland vom Spielerberater zum dritten Mal verschoben worden war, wurde Irfan Memeti schliesslich misstrauisch. Er beauftragte einen Bekannten, beim Verein nachzufragen. Eine Stunde später meldete sich erwähnter Jurist aus Köln bei ihm.

Weitere Fälle im Kanton Zug
Mittlerweile sind weitere Fälle publik geworden, in denen Nicola S. junge Fussballer und deren Familie um den Finger wickelte, drei davon in der Zentralschweiz. Zwei betreffen ebenfalls Spieler von Zug 94, einer einen Junior des FC Baar. Vermutlich ist keiner so weit gediehen und so gut nachvollziehbar wie der von Zurap Memeti. Sein Vater hat von Anfang an jedes Schriftstück und jedes Mail aufbewahrt (REGIOfussball.ch und die «Zentralschweiz am Sonntag» hatten Einblick in einige Dokumente). «Ich bin ein korrekter Mann und will keine Probleme haben», stellt Memeti klar. Er und seine Frau sind vor 20 Jahren aus Mazedonien nach Goldau gekommen. Seit 18 Jahren arbeiten die beiden in derselben Lampenfabrik. Der ganze Stolz sind die Kinder, Zurap und seine 15-jährige Schwester.

Die Frage nach der Naivität
Die Memetis sind einem besonders perfiden Hochstapler aufgesessen. Trotzdem stellt sich die Frage nach dem eigenen Verschulden. Warum sollte ein A-Junior von Zug 94 respektive ein Ergänzungsspieler der U-17-Mannschaft von Luzern-Kriens ein Angebot eines Bundesligaklubs erhalten? «Zurap gehörte in den U-Teams immer zu den Besten und erzielte viele Tore», sagt der Vater. Darüber hinaus sei er für einen Zusammenzug der U 16 Albaniens aufgeboten worden. Am Talent seines Sohnes («Linksfuss, sehr stark») gibt es für Irfan Memeti nichts zu deuteln.

Er war sogar vor S. gewarnt worden: Ein Vater eines anderen Spielers aus Luzern habe ihn letztes Jahr kontaktiert. S. habe seinem Sohn einen gefälschten Vertrag für eine Lehrstelle unterbreitet. Angeblicher Arbeitgeber: die Architekturfirma des Vaters des Spielerberaters. Dort soll S. zeitweise gearbeitet haben, heisst es aus dem Umfeld des BSC Old Boys Basel, für den S. als Schiedsrichter tätig ist. «Ich habe Nicola darauf angesprochen», sagt Memeti. «Er sagte, das sei ein Fehler gewesen, der ihm leidtue. Er habe dem anderen nur helfen wollen.»

Wenige Stunden nach dem Auffliegen des Betrugs um den angeblichen Vertrag mit Köln habe S. sich bei Memeti gemeldet – mit der Bitte um Hilfe: «Er sagte mir, es sei nicht seine Schuld, sondern die des Scouts aus Deutschland», schildert der Geprellte das ­Telefongespräch. Doch jetzt glaubte Memeti dem Berater nicht mehr. Seither hat er S. nicht mehr erreicht. Er wolle ihm keine Vorwürfe machen oder ihn beschimpfen, sagt er. Irfan Memeti will ihm einfach die quälende Frage nach den Gründen stellen. Auch auf schriftliche Anfragen unserer Zeitung hat Nicola S. keine Antwort gegeben.

So bleiben alle Fragen offen. Zum Beispiel: Was versprach sich der Spielerberater von diesem Treiben? Wer war der angebliche Scout in Köln? Gibt es weitere Komplizen oder Hintermänner? Warum hat der Basler viele seiner Opfer in der Zentralschweiz gesucht und gefunden? Nicola S. wird die Antworten wohl vor Gericht geben müssen. Gemäss deutschen Medienberichten klagt der 1. FC Köln wegen Urkundenfälschung. Auch die Memetis überlegen sich, den Rechtsweg zu beschreiten. Sie hätten sich einen Anwalt genommen, sagt der Vater. Darüber hinaus steht ihnen der Jurist des Klubs Zug 94 beratend zur Seite.

Verlorenes Halbjahr aufholen
Finanziell ist der Schaden überschaubar, wenngleich er schmerzhaft für die Familie Memeti ist. Die teuerste Auslage war ein GA-Junior im Wert von 2600 Franken für die Fahrten von Zurap Memeti nach Basel. Das Vertrauen in Berater ist hingegen zerstört. In Zukunft würde er den Verein, bei dem Zurap spielt, mit Verhandlungen beauftragen, beteuert Irfan Memeti. Das bleibt gegenwärtig Zug 94.

Das Wichtigste sei, dass sein Sohn wieder die Schule in Luzern besuchen könne, sagt Memeti. Jene ist der Familie finanziell erheblich entgegengekommen: Sie verlangt für das beginnende Semester nichts und für das nächste Schuljahr lediglich die Hälfte des Gesamtbetrags. «Zurap muss jetzt versuchen, das verlorene halbe Jahr so gut wie möglich aufzuholen», stellt der Vater klar. Glaubt er noch an eine Profikarriere des Sohnes? «Normal», sagt Irfan Memeti.