Reto Scherer wird heute nach 285 Pflichtspielen das letzte Mal zu Hause für die erste Mannschaft des SC Cham auflaufen. Die Geschichte von einem, der sich seinen Status erkämpfen musste.

An wen erinnern Reto Scherers Gesichtszüge? Diese Frage stellt sich dem Gegenüber, sobald der Stürmer des SC Cham seinen Kopf in einen gewissen Winkel dreht. Die Augenpartie, die Nase … Natürlich – Sylvester Stallone! Aber nur die junge Ausgabe natürlich, die aus dem ersten «Rocky»-Film. Dieser Vergleich ist so passend, dass sich der Betrachter fragen muss, ob er nicht gesucht ist. Denn wie Stallone als Boxer im Film musste sich Scherer als Fussballer im richtigen Leben seinen Platz und seinen Status erkämpfen. Nicht die feine Kunst ist dabei im Vordergrund gestanden, sondern Biss und Leidenschaft sowie eine grosse Leidensfähigkeit.

Mannschaftsintern nimmt man bei Vergleichen Bezug auf den Fussball. Scherer gilt für seine Mitspieler diesbezüglich als Klon von Bayern-Stürmer Thomas Müller: im Bewegungsablauf gstabig, aber mit einem angeborenen Torriecher ausgestattet. Das ehrt den 27-Jährigen, auch weil er grosser Anhänger des FC Bayern München ist.

«Es würde nichts bringen, weiterzumachen»
Heute Samstag wird Scherer das letzte Mal auf «seinem» Eizmoos in Cham für die erste Mannschaft auflaufen, im Promotion-League-Match gegen La Chaux-de-Fonds (16.00). Wie vergangene Woche bekannt geworden ist, hört er nach elf Saisons auf. Einerseits wegen eines Knorpelschadens im Knie, andererseits, weil er ohnehin nur noch eine halbe Saison gespielt hätte. Der Haustechnikplaner und Sanitär bildet sich an der Technikerschule in Zürich weiter. Die Phase des Abwägens zog sich gemäss Scherer über «zwei, drei Wochen» hin, «aber am Ende war klar, dass es so am meisten Sinn macht. Es würde dem Verein und mir nichts bringen, weiterzumachen», sagt er. Ganz aufhören zu spielen wolle er nicht. Es sei derzeit noch offen, in welchem Team das sein wird.

Scherer erzählt davon auf der Terrasse des Bistros auf dem Eizmoos. Wer an ihm vorbeigeht, grüsst ihn wie den alten Bekannten, der «der Reto» hier tatsächlich ist: Im August 2006 bestritt er seine ersten Einsätze in der ersten Mannschaft des damaligen Erstligisten. Der Trainer Jean-Daniel – genannt Dada – Gross hatte den B-Junior entdeckt, als er und Scherer in der zweiten Mannschaft gemeinsam auf dem Platz standen. Gleich in seiner ersten Saison war Scherer Teil des grössten Erfolgs in der Vereinsgeschichte, dem Aufstieg in die Challenge League im Frühjahr 2007. In der Folgesaison wurde er 29-mal in der zweithöchsten Liga eingesetzt sowie zwecks Spielpraxis viermal in die 1. Liga zum damaligen Partner, der U21 des FC Luzern, ausgeliehen. Es waren die einzigen Partien in seiner Karriere, die Scherer nicht im Chamer Trikot bestritt.

Das Pech steht vor einer möglichen Profilaufbahn
Seine Familie ist derart mit dem Sportclub verwoben, dass es abwegig scheint, dass sich der ältere Sohn einen Vereinswechsel vorstellen konnte. Und doch gab es diese Überlegungen: Nach der Challenge-League-Saison war Reto Scherer im Probetraining in Wohlen. «Ich verletzte mich da am Meniskus, dann war das Thema Profifussball vorbei», blickt er nüchtern zurück. Es wurmt ihn, dass er nicht herausfinden konnte, ob er sich im Profifussball hätte einen Platz erkämpfen können. «Es war der ideale Moment, nach der Lehre und noch zu Hause wohnhaft. Mein Vater ermutigte mich, es zu versuchen», sagt er.

Für seinen im November 2015 gestorbenen Vater Urs hegt Reto Scherer grössten Respekt. Es war natürlich nicht immer leicht für ihn, der Sohn des Vereinspräsidenten zu sein. «Immer wieder hiess es, dass ich nur wegen ihm in der ersten oder zweiten Mannschaft spielte. Das hat mich vielleicht als junger Spieler etwas gestört. Aber ich habe bewiesen, dass das nicht stimmt.» Klugerweise schützte Urs Scherer seinen Sohn, indem er «zu Hause nie Vereinsinterna erzählte».

Sein 286. Spiel für die erste Chamer Mannschaft steht morgen an. Ganz der Vereinsmensch, bedauert er, dass er danach einmal zu oft in der Promotion League eingesetzt worden ist, um die zweite Mannschaft im Aufstiegsrennen der 3. Liga unterstützen zu dürfen. Am vergangenen Sonntag spielte er noch gegen Baar und erzielte beim 5:2-Sieg einen Treffer und bereitete deren zwei vor.

Im Fanionteam gehen bislang 71 Tore auf sein Konto. Moreno Merendas Vereinsrekord von 78 Treffern dürfte er nicht knacken. Das tut Reto Scheres Status als Chamer Vereinslegende keinen Abbruch. Diesen hat er sich buchstäblich erarbeitet.