Viola Calligaris hat ihren Traum vom Profifussball mit dem Wechsel zu Atlético Madrid wahr gemacht. Doch nicht nur der Verein und die Sprache sind neu für die 21-jährige Obwaldnerin – auch auf dem Platz bahnt sich eine Veränderung an.

«Ich bin nicht ein Typ, der sich riesige Ziele setzt, ich nehme es lieber vorneweg. Träume habe ich allerdings schon.» So schildert Viola Calligaris ihre Denkweise, und so erklärt sie auch das Ereignis im letzten Sommer. Die 21-jährige Obwaldnerin ­hatte ihre vierte Saison bei den Young Boys gerade beendet und die Berufsmatura abgeschlossen, als sie mit Atlético Madrid in Kontakt kam. Der spanische Meister offerierte ihr einen Einjahresvertrag, Calligaris dachte sich «warum nicht?» und griff zu. «Ich hatte Lust auf megacoolen Fussball und eine neue Sprache. Es ist das Beste, was mir passieren konnte.» Die spontane Erfüllung eines Traums sozusagen.

Mittlerweile ist es losgegangen, sechs Spiele sind in der Primera División absolviert, alle hat die Mannschaft gewonnen. Am Sonntag empfängt Atlético im Kleinstadion auf dem Trainingsgelände in Majadahonda, 16 Kilometer nordwestlich Madrids, den FC Barcelona zum Spitzenkampf. Beide Teams sind ohne Verlustpunkte und gelten als Hauptanwärter auf den Meistertitel. Calligaris wird kaum in der Startaufstellung stehen, weil sie zuletzt wegen einer leichten Verletzung pausiert hat. Und weil ihre Angewöhnungsphase nach zwei Monaten noch nicht abgeschlossen ist – bisher kam sie in der spanischen Meisterschaft zu vier Teileinsätzen. Die schweizerisch-italienische Doppelbürgerin schwärmt zwar von der familiären Atmosphäre und den offenen Teamkolleginnen, doch sie weist auch darauf hin, wie neu alles für sie sei – Verein, Sprache, Art des Fussballs. «Ich muss mir Zeit geben, darf nicht zu viel wollen, möchte Schritt für Schritt machen», mahnt sie sich zur Geduld. Um sogleich festzuhalten: «Ich bin nie zufrieden, will immer mehr. Ich will spielen!»

2:12 – das Debüt in der Abwehr misslingt
Bleibt die Frage nach ihrem Wirkungsbereich, und da wären wir schon bei der nächsten Umstellung in ihrer Karriere. Trainer Ángel Villacampa Carrasco hat spezielle Pläne mit ihr, «aktuell eigne ich mir im Training das Spiel als rechte Aussenverteidigerin an», berichtet Calligaris. Die Zentralschweizerin, die in Huttwil die Fussballakademie besuchte und vor dem Wechsel zu YB ein Jahr lang in Kriens spielte, ist gelernte Mittelfeldspielerin, «meine Lieblingsposition ist das Zentrum». Dort sei die Konkurrenz um Captain Amanda Sampedro aber extrem gross, weshalb Calligaris künftig von der hintersten Linie aus zu einem gepflegten Spielaufbau beitragen soll. «Ich werde mein Bestes geben», verspricht sie.

Denkwürdig ist ihr Debüt in der Startformation auf der Aus­senbahn, allerdings in negativer Hinsicht. Im Rückspiel des Sechzehntelfinals der Champions League in Wolfsburg schickte der Trainer vornehmlich Reservistinnen auf den Platz, weil er nach der 0:3-Hinspiel-Niederlage den Fokus auf die Meisterschaft legte. Die Folgen waren gravierend, die Madrileninnen verloren mit 2:12.

Fleischwunde am Knie verhindert Einsatz in Japan
Möglich ist, dass sich die Neuorientierung bald auch auf ihre Rolle im Schweizer Nationalteam auswirken wird. Trotz dem Umbruch mit sechs Rücktritten kommt sie dort nicht über die Reservistenrolle hinaus, in den ersten beiden WM-Qualifikationsspielen reichte es der 1,67 Meter grossen Rechtsfüsserin nur zu einem 15-minütigen Kurzauftritt. In ihren bisher acht Länderspielen stand Calligaris zweimal von Beginn weg auf dem Platz.

Am letzten Sonntag im Test in Japan (0:2) gegen den Weltmeister 2011 und WM-Zweiten 2015 hinderte sie ein Zusammenstoss sogar gänzlich an einem Einsatz. «Passiert ist es im Training, die Fleischwunde am Knie musste mit zwei Stichen genäht werden. Ärgerlich, dass ich nicht spielen konnte.» Dennoch sei die Reise nach Fernost ein Erlebnis gewesen, weil Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg jeweils auch Wert auf Sightseeing lege. Die Tempel in Nagano oder die Hochhäuser mit den Leuchtreklamen in Tokio werden Calligaris in Erinnerung bleiben.

Calligaris: «Fantastisch! Es ist das, was ich wollte.»
Nun ist sie zurück in Madrid, der spanischen Metropole, die sie in den nächsten Wochen und Monaten auch ausserhalb des Fussballs erkunden möchte. Nahe dem Trainingsgelände lebt sie in einer Wohngemeinschaft, die freie Zeit nutze sie gerne fürs ­Kochen, «alles Mögliche», wie sie erzählt, wobei ihr der Gratin besonders gut gelinge. Nächste Woche steht die erste Spanischstunde auf dem Programm.

Die junge Frau geniesst ihren neuen Status als Fussballprofi. Dazu zählen auch die Begegnungen auf dem Trainingsgelände mit den Männern von Atlético Madrid und dem gelegentlichen «Hola» für Fernando Torres, Antoine Griezmann und Co. «Fantastisch» sei es, wenn man das Hobby zum Beruf machen könne, schwärmt Viola Calligaris. «Es ist das, was ich wollte.»