Ein grobes Foul eines 4.-Liga-Torhüters beurteilt das Kreisgericht Wil SG als fahrlässige Körperverletzung. Für den Verteidiger ist dies eine «Kriminalisierung junger Sportler».

Die Anklage lautete: fahrlässige Körperverletzung – und zwar für jene Aktion, die sich am 28. Mai 2016 auf einem Sportplatz in Henau bei Uzwil abgespielt hatte und über die nun vor dem Kreisgericht Wil verhandelt wurde. Die zweite Mannschaft des FC Henau war in einem 4.-Liga-Spiel auf das beste Breitensportteam des FC Wil getroffen. Bei einem Konter der Gastgeber flog der Ball flach in die Mitte zum Henauer Stürmer, der mit dem Ball noch ein paar Schritte machte.

Über den weiteren Verlauf der Szene gingen die Ansichten im Gerichtssaal auseinander. Zu klären war die Frage, wie sich der Goalie im Detail verhalten hatte. Laut Anklageschrift wurde der Stürmer vom Torhüter in einer Höhe von 60 bis 90 cm über Boden mit den Stollen am Knie getroffen. Es gab Penalty und eine Verwarnung gegen den Torhüter, nicht aber einen Platzverweis.

Verteidigung befürchtet deutlich mehr Gerichtsfälle
Für die Opferseite war die Aktion eine «krasse Verletzung der Sorgfaltspflicht» des Goalies, auch wenn sie diesem keine Absicht unterstellte. Er sei wie ein Torpedo aus seinem Tor gestürmt und habe zu einer Aktion im «Kung-Fu-Stil» angesetzt. Die Folgen für den Stürmer waren und sind gravierend: Er musste direkt ins Spital gebracht werden, wo das Knie operiert wurde. Nach zehn Tagen durfte er wieder nach Hause, war danach aber für drei Monate arbeitsunfähig. Auf Fussball muss er seither verzichten, und auch das Ski- und Snowboardfahren konnte er letzten Winter nicht ausüben. Dieses Jahr stand eine zweite Operation an, um die Schrauben und Platten im Knie zu entfernen. Es besteht erhöhte Gefahr für Arthrose im Knie.

Verteidiger Lucien W. Valloni, der auch Präsident der Schweizer Fussballergewerkschaft SAFP ist, hatte Freispruch für seinen Mandanten gefordert. Der Stürmer habe Aussagen aus Frust getätigt, weil er seinem Hobby nicht mehr nachgehen könne. Gegenüber dem «Blick» bestätigte dies der Anwalt des Klägers. Und der Vater des Verletzten ergänzte: «Der Goalie hat sich nie bei ihm entschuldigt und sich auch nie im Spital blicken lassen.»

Lucien W. Valloni verwies auf Schilderungen des Schiedsrichters, der freie Sicht auf die Aktion gehabt habe, keine Verletzungsabsicht habe erkennen können und darum auch keinen Platzverweis aussprach. «Der Angreifer hätte seinen Lauf abbrechen können, da er keine Chance auf den Ball hatte», sagte Valloni. Eine Aussage, die von der Gegenseite bestritten wurde. Für Valloni war es ein «spieltypisches, normales Foul», wie es auf Fussballplätzen immer wieder vorkommt. Zudem habe sein Mandant den Ball gespielt. «Eine Verurteilung würde dazu führen, dass künftig Hunderte solcher Fälle vor Gericht verhandelt werden müssten und die Jungen diese Sportart nicht mehr ausüben würden», sagte der Verteidiger während der Verhandlung. Die Staatsanwaltschaft hingegen befand, dass ein Freispruch ein «Freipass für grobe Fouls» wäre.

«Es ist zwar keine krasse Kriminalität, aber eine krasse Verletzung der Spielregeln», begründete der Kreisgerichtspräsident. Der 20-jährige Goalie der FC-Wil-Breitensportabteilung wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer ­bedingten Geldstrafe von 300 Franken sowie einer Schadensersatzzahlung von 6111 Franken verurteilt. Für eine Genug­tuungsforderung verwies der Richter auf den Zivilweg. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Es steht Aussage gegen Aussage
Zu diesem Urteil kam der Richter, obwohl nach der Hauptverhandlung Aussage gegen Aussage gestanden war. Für Valloni gab es noch «viele Unklarheiten». Das Urteil führe zu einer Kriminalisierung von jungen Sportlern. Für die Gegenpartei war hingegen die Fahrlässigkeit gegeben.

Juristisch nicht von Relevanz war schliesslich, dass die Aktion vom Schiedsrichter nur mit einer gelben Karte sanktioniert worden war. «Dies war offensichtlich ­ ein Fehlentscheid», sagte der Rechtsvertreter des Stürmers.

Dickerhof hofft auf «Sieg der Vernunft»
Das Urteil habe auch beim Innerschweizerischen Fussballverband IFV für Gesprächsstoff gesorgt, sagt Präsident Urs Dickerhof. «Wir fragten uns: ‹Was soll das?› Ein ähnlicher Fall ist bei uns, zumindest in den letzten 30 Jahren, nicht vorgekommen. Wenn man das Urteil weiterdenkt und ad absurdum führt, müsste man ja auch Spiele absagen bei Regen, weil dies zu gefährlich sein könnte.» Dickerhof befürchtet, dass das Urteil – sollte es Bestand haben – grosse Auswirkungen auf den Spielbetrieb im Amateurbereich haben könnte. Noch habe man aber zum Glück keine amerikanischen Verhältnisse, wo jeder jeden sofort verklage. Er hoffe auf den Sieg der Vernunft. «Miteinander reden ist eine Schweizer Kernkompetenz. Darauf müssen wir uns besinnen. Auch der Ostschweizer Fall hätte so wohl gelöst werden können.»