Julian Wüest vom SC Cham stellt hohe Ansprüche an sich. Um ihnen gerecht zu werden, ist ihm kein Aufwand zu gross. Sein Körper spielt dabei nicht immer mit.

Der 23-jährige Julian Wüest erlernte das Fussball-Abc beim SC Cham. Als er in der U 14 und U 15 des Teams Zugerland spielte, bot sich ihm die Chance, zum SC Kriens oder zum FC Luzern zu wechseln. Um sich voll der Kantonsschule Zug widmen zu können, entschied er sich aber zu einem Übertritt zum FC Baar, wo er bereits mit 18 Jahren in der ersten Mannschaft debütierte. Nach dem Aufstieg in die 2. Liga interregional erfolgte ein massiver Rückschlag: Der FC Baar stieg zweimal in Folge ab und landete in der 3. Liga, wo er sich heute noch befindet.

Wüest, der mittlerweile an der Hochschule St. Gallen (HSG) studiert, wechselte nach dem zweiten Abstieg für eine Saison zum FC Küssnacht, wo er wiederum in der 2. Liga interregional spielte. Wegen eines Austauschsemesters in Australien hängte der Hüne von 1,91 Metern seine Fussballschuhe vorübergehend an den Nagel. «Der Aufenthalt in Australien gefiel mir sehr gut. Ich fand es aufregend, in einem fremden Land zu sein und nicht zu wissen, was auf mich zukommt», blickt er zurück.

Mit seinem Mitbewohner, dem Volleyballer Vasilious Koutsogianakis, der unter anderem schon Headcoach eines NLA-Volleyball-Teams war, habe er sich oft in verschiedenen Sportarten duelliert. An einem Fussballturnier, an dem 40 Universitätsteams aus dem ganzen Land teilgenommen hätten, habe sein Team von der Bond University den vierten Rang belegt. Das sei das beste Resultat, das diese Universität je erreicht habe. Im Winter 2015/16 kehrte Julian Wüest wieder zu seinem Stammverein SC Cham zurück. Er betont: «Ich bin glücklich, wieder zu meinen fussballerischen Wurzeln zurückgefunden zu haben. Die Infrastruktur ist ebenso einmalig wie der Spirit im Team. Ich habe noch nie in einer derart tollen Mannschaft gespielt wie jetzt.»

Die ungeschminkte Wahrheit
Zum Spielen kam Wüest beim SC Cham bis jetzt allerdings nur selten. Vom Verletzungspech verfolgt, musste er oft zuschauen, wie seine Teamkollegen erfolgreich in der Promotion League bestanden. Erstmals verletzte er sich unmittelbar nach seiner Rückkehr im Trainingslager in Portugal. An freudigen Erlebnissen mangelte es trotzdem nicht. Wüest erzählt: «Obschon verletzt, bin ich mit meiner Mannschaft nach Genf gereist, wo sie das grosse Servette bezwang.» Verschmitzt lächelnd schiebt er nach: «Man würde mir wohl kaum glauben, wenn ich behaupten würde, dass wir auf der Heimfahrt nicht auf diesen Sieg angestossen hätten.» Dieses Statement passt zu ihm, denn er sagt: «Ich mag nicht lügen und angelogen werden. Mir ist lieber, wenn man mir direkt ins Gesicht sagt, was ich falsch gemacht habe. Ich bin gewillt, aus Fehlern zu lernen.» Als positiv Denkender glaube er stets an das Gute im Menschen.

Nachdem Wüest im letzten Meisterschaftsspiel der vergangenen Saison erstmals in der Startformation des SC Cham als Innenverteidiger aufgelaufen war, erlitt er einen weiteren Rückschlag: «Rund zwei Wochen vor dem Start zur laufenden Saison handelte ich mir im Training eine Verletzung der Kniescheibe ein. Aber ich befinde mich auf dem Weg der Genesung und hoffe, bald wieder ins Mannschaftstraining einsteigen zu können», erklärt er.

Vorbild vom FC Barcelona
Er will seinem fussballerischen Vorbild Gerard Piqué vom FC Barcelona nacheifern. Ihm gefalle, wie der technisch versierte Piqué defensiv solid stehe und auch offensiv Akzente setze. Wüest, der mit dem Bachelor der HSG in der Tasche derzeit als Praktikant bei der Credit Suisse in Zug arbeitet, kann als ausgesprochenes Organisationstalent bezeichnet werden. Nur so ist nachvollziehbar, dass er während seines Studiums in St. Gallen einen Weg fand, um in Cham trainieren zu können, ohne das Studium zu vernachlässigen. «Die berufliche Ausbildung hat Vorrang, aber der Fussball bietet mir mehr als nur eine willkommene Abwechslung. Ich will auch auf dem Rasen möglichst viel erreichen», sagt Wüest. Er ist auch Fan von Roger Federer, an dem ihm das «sympathische Auftreten auf extrem hohen Niveau und sein gepflegtes Äusseres» gefalle. Auch er lege grossen Wert, gepflegt und gut angezogen daherzukommen.

Julian Wüest: «Mir ist lieber, wenn man mir ins Gesicht sagt, was ich falsch gemacht habe.»

«Nicht grösser, nur länger»
Julian Wüest, der derzeit bei seinen Eltern in Cham wohnt, liebt ausserdem «den Kontakt mit meinen Mitmenschen». Kaum erstaunlich verrät er: «Wenn ich nach dem Masterabschluss einige Jahre gearbeitet habe, kann ich mir gut vorstellen, irgendwann eine eigene Familie zu gründen.» Dann wird er seinen Kindern wohl auch die Fussballgene weitergeben, die er von seinem Vater Christoph Wüest geerbt hat, der früher beim FC Zug in der Nationalliga B und der 1. Liga gespielt hat. «Mein Vater wird hin und wieder darauf angesprochen, dass ich grösser bin als er. Seine Standardantwort lautet dann jeweils: nicht grösser, nur länger.»